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Indien – Keineswegs nur ein aufstrebendes Schwellenland

| Bild: © n.v.

In der allgemeinen westlichen Wahrnehmung wird Indien weiterhin als aufstrebendes Schwellenland betrachtet, dass in einer Reihe mit China und Japan zu nennen ist. Dass es sich bei dieser Annahme zu großen Teilen um eine Illusion handelt, ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht angekommen. Dass Indien neben hohen Armutsraten, einem verkomplizierendem Kastensystem auch in wirtschaftlicher Hinsicht keineswegs so gut dasteht, wie oftmals angenommen, kommt im öffentlichen Diskurs ebenso deutlich zu kurz.

Aufgrund der Hochwasserkatastrophe in Bayern und weiten Teilen Ostdeutschlands ist z.B. völlig untergegangen, dass auch Indien im gleichen Zeitraum unter unnatürlich großen Wassermassen zu leiden hatte. Zwar ist es Rettungskräften im Zuge der besonders früh begonnenen Monsun-Saison gelungen, über 100.000 Menschen in Sicherheit zu bringen 1), aber dabei wird übersehen, dass dabei bis zu 15.000 Menschen ihr Leben ließen. 2) Gravierend kommt hinzu, dass obwohl mit frühzeitigen Monsunfällen gerechnet wurde, die indischen Behörden über 100.000 Pilger zu den hinduistischen Schreinen in 3.000 m Höhe wandern ließen und so zu dieser Katastrophe erheblich beigetragen haben. 2) Doch nicht nur diese Fahrlässigkeit wird den indischen Behörden vorgeworfen. Auch über einen Monat nach der Katastrophe sind weite Teile Nordindiens von der Außenwelt abgeschnitten, ganze Dörfer leben in Notunterkünften. Sieht so eine gute Notfallplanung aus?

Die Ursachen für die verflogene Euphorie sind jedoch vielfältiger. So gebietet die derzeitige Entwicklung Indiens Anlass zur Sorge. Auch wenn wir Europäer ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von ca. 5 % stürmisch bejubeln würden, so benötigt Indien deutlich höhere Wachstumsraten. Eine schwache Währung, hohe Inflation und ein höheres Haushaltsdefizit als Griechenland sind nur einige beunruhigende Indikatoren, die den Abstieg bestätigen. 2)  All diese Entwicklungen verstärken die Armutsproblematik in Indien noch weiter. Ganz gleich ob es die Millionen Kinder sind, die an Unterernährung sterben, die kaum ausgeprägten Frauenrechte, eine unproduktive Justiz oder die fehlende Infrastruktur, die für mehr Wirtschaftsleistung sorgen würde, all diese überbordenden Herausforderungen drohen in einem Bürgerkrieg zu enden. 2)

Im Laufe der vergangenen zwölf Monate ist es quasi allen indischen Bundesstaaten gelungen, die beliebte Volksdroge Gutkha zu verbieten. 3) Allerdings ist es zumindest zweifelhaft in dieser Beziehung von einem Erfolg zu sprechen. Guthka ist eine Kautabakmischung, die hochgradig krebserregend ist und deren Behandlungen jährlich Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Insofern ist das Ansinnen, durch ein Verbot diese Kosten zu senken, nachvollziehbar. Allerdings wird Guthka hauptsächlich von der Unter- und Mittelschicht konsumiert, um den Hunger zu bekämpfen. So fungiert Guthka als billiger Nahrungsmittelersatz, um ein oder gar zwei Mahlzeiten am Tag zu umgehen. Guthka ist für diese Menschen alternativlos, da diese sich auch die billigsten Nahrungsmittel in den notwendigen Mengen nicht leisten können. 4) So zeugt das Guthka-Verbot zwar von gutem Willen, aber zielführend wird es nicht sein.

Doch die Drogenproblematik Indiens beschränkt sich nicht nur auf den Konsum von Guthka, ganz egal ob nun legal oder illegal. So werden vor allem in der Unterschicht zusehends auch synthetische Drogen konsumiert. Doch um der steigenden Anzahl an Süchtigen zu helfen, mangelt es an Entzugskliniken, Personal und finanzieller Unterstützung seitens des Staates, da sich die Betroffenen teure Klinikaufenthalte häufig nicht leisten können. Aufgrund der weitverbreiteten Ansicht Drogensucht sei kein soziales, sondern ein individuelles oder gar familiäres Problem werden Süchtige nicht als Opfer sondern als Schuldige oder Täter betrachtet, sodass sich der Staat scheut, die Drogensüchtigen zu unterstützen. 5)

Die bereits beschriebenen Armutsverhältnisse, die mangelnde Bereitschaft dem Drogenproblem zu begegnen und die Lage Indiens zwischen dem Goldenen Dreieck und dem Goldenen Halbmond 6) fördern die Korruption, die ein weiteres Entwicklungshemmnis auf dem Weg zu einer wirkungsvollen Armutsbekämpfung darstellt.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Überschwemmungen – Hamburger Abendblatt – aufgerufen am 22.07.13
  2. Indien Flutopfer – ZEIT online – aufgerufen am 22.07.13
  3. Indian gutka – Wikipedia – aufgerufen am 22.07.13
  4. Volksdroge Guthka – ZEIT online – aufgerufen am 22.07.13
  5. Synthetische Drogen – NZZ – aufgerufen am 22.07.13
  6. Drogenhandel Indien – aufgerufen am 22.07.13