Zum Inhalt springen

Südafrika – Wo Mütter zu Mörderinnen werden

| Bild: © n.v.

Was bringt eine Mutter dazu, ihren eigenen Sohn umzubringen? Wie verzweifelt muss sie sein?

Ellen Pakkies erdrosselte vor sechs Jahren ihren Sohn, weil sie es nicht mehr ausgehalten hatte. Abie nahm Drogen seit er 12 Jahre alt war. Jahre später haben die Drogen ihn zum Monster werden lassen. Er tat alles, um an Geld zu kommen, verkaufte sämtliches Hab und Gut, klaute, riss Rohre aus den Wänden des Hauses, drohte, seine Mutter zu vergewaltigen und umzubringen. Sechs Mal hatte Ellen ihn angezeigt, doch die Polizei konnte nichts nachweisen und lies ihn immer wieder gehen.

„Nachdem sie es getan hat, lässt sie sich Wasser ein für ein Bad. Es ist jetzt ganz still in der Wohnung. Kein Fluchen, kein Schreien. Zum ersten Mal seit Jahren. Sie steigt in die Wanne. Sie wäscht sich. Sie lässt sich Zeit. Keiner wird sie heute stören. Sie ist sicher.“ 1)

Die Ausmaße des Drogenproblems in Südafrika sind dramatisch. Die Drogenkarriere vieler Kinder beginnt mit dem Schnüffeln von Kleber. Bald folgen Marihuana (Dagga) und eine ganze Bandbreite an härteren Drogen, darunter Tik (Crystal Met), Heroin und Opiate. 2)

In letzter Zeit ist eine Droge aufgetaucht, die besonders gefährlich ist. Whoonga oder Nyaope wird sie genannt, und ist eine Mischung aus besonders minderwertigem Heroin und Aids-Medikamenten, häufig vermischt mit Rattengift und Waschmittelpulver. Dieser Giftcocktail wird zusammen mit Marihuana geraucht. In einem Land, das mit der höchsten HIV-Rate weltweit zu kämpfen hat (von insgesamt 50 Millionen Einwohnern sind etwa 5,7 Millionen infiziert), sind Aids-Medikamente in großen Mengen verfügbar. Seit Whoonga aber nun immer mehr Abnehmer findet, verschwinden zunehmend die Medikamentvorräte aus den Krankenhäusern. Einige Aids-Kranke verkaufen auch ihre Tabletten oder verwenden sie sogar selbst zu Pulver zerrieben als Zutat für Whoonga. 3)

In Südafrika ist Whoonga trotz der Gefahr, die davon ausgeht, nach wie vor legal. Die Regierung hat bereits angekündigt, die Drogengesetze zu erweitern, es wird allerdings kritisiert, dass, vor allem vor dem Hintergrund des Ausmaßes dieses Problems, viel zu langsam gehandelt wird. 4)

In manchen Teilen des Landes sind ganze Townships abhängig von Drogen. Die Rede ist sogar schon von einer „Pandemie“. 5) 15 % der Südafrikaner konsumieren laut Statistik Drogen – doppelt so viele wie im weltweiten Durchschnitt. Die Kosten, die dadurch für den Staat entstehen sind Schätzungen zufolge mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Großteil der Drogen wird in Südafrika selbst produziert, andere gelangen über große Umschlaghäfen ins Land. 60-80% der Verbrechen sind auf Drogenmissbauch zurückzuführen, nicht selten werden Menschen auf offener Straße ausgeraubt und erstochen. Besonders im Laufe der vergangenen Jahre hat die Kriminalität in Zusammenhang mit Drogen extrem zugenommen, so wurden beispielsweise in Kapstadt im Jahr 2008 viermal mehr Verbrechen registriert als noch im Jahr 2002. 6) Mehr als 15 000 Morde werden jedes Jahr begangen. 4)

Eine besonders schockierende Tat ereignete sich im September. Die Leiche eines vier Jahre alten Mädchens wurde vergewaltigt und halbnackt an einem Baum hängend entdeckt. Vergewaltigungen von Frauen und sogar Babys sind keine Seltenheit. Die Drogen bewirken eine Persönlichkeitsveränderung, die Männer zu Ungeheuern macht. Sie werden aggressiv, haben ein gesteigertes Selbstbewusstsein und Verlangen nach Sex, das sie gewalttätig werden lässt. Jedes dritte Schulmädchen gibt an, dass der erste sexuelle Kontakt erzwungen war. 7) 8)

Südafrika ist ein Land der Gegensätze. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so große Wohlstandsunterschiede. Große Teile der Bevölkerung sind noch immer von extremer Armut betroffen. Vor allem in den Coloured-Townships sind die einzigen Erwerbsmöglichkeiten häufig Drogenhandel oder Diebstahl. Momentan herrscht eine Arbeitslosigkeit von etwa 25% (nach offiziellen Angaben), in Realität ist die Zahl jedoch wohl um einiges höher. Schuld ist auch das mangelhafte Bildungssystem, in dem nur etwa die Hälfte der Kinder einen Schulabschluss erreicht, darunter kaum ein farbiges Kind. Außerdem gibt es keine soziale Absicherung wie etwa Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder ausreichende Rente. 9) Die Folge ist Perspektivlosigkeit. Viele der Jugendlichen schließen sich Gangs an, die ganze Stadtviertel unsicher machen, randalieren, Feuer legen und morden. 7) Drogen sind für die Meisten ein Weg, vor der unerträglichen Realität zu fliehen.

Die Regierung ändert momentan ihr Vorgehen im Kampf gegen die Drogen. Statt, wie bisher, den Fokus auf die Drogenproduktion zu setzen, wird nun verstärkt an Behandlungskonzepten, Aufklärung und Prävention gearbeitet. 10)

Ellen Pakkies trifft sich regelmäßig mit anderen Müttern in der St. Mary Magdalene’s Catholic Church. Dort weinen und lachen sie zusammen. Sie finden Hoffnung in der Gemeinschaft und in Gott. 1)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Chrismon: „Ich habe meinen Sohn umgebracht“
  2. allAfrica: South Africa: Government Switches Strategy On Drugs; kostenpflichtig
  3. Dailymail: Addicts mic HIV drugs with marijuana in South Africa’s deadly new ‚Whoonga‘ craze
  4. The Atlantic: In South Africa, a Deadly New Drug Is Made With HIV Medications
  5. Chrismon: „Ich habe meinen Sohn umgebracht“
  6. Christian Drug Support: SA Statistics
  7. Mittelbayerische: Alltägliche Grausamkeiten in Südafrika – Artikel nicht mehr verfügbar
  8. Kapstadt entdecken: Tik, die Droge am Kap
  9. Kapstadt entdecken: Jugendkriminalität in Kapstadt
  10. allAfrica: South Africa: Government Switches Strategy On Drugs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert