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São Paulo: Crack-Abhängige sind krank, nicht kriminell

| Bild: © n.v.

Luz ist portugiesisch und bedeutet Licht. Luz heißt ironischerweise auch das Viertel mit der wohl dunkelsten Geschichte São Paulos. Sogar Polizisten meiden das Gebiet, das als Cracolândia bekannt wurde. Zu Hochzeiten lebten hier bis zu 2000 Crack-Abhängige.

Brasilien hat nach den USA mit der größten Crack-Epidemie weltweit zu kämpfen. In vielen Städten gibt es kleine Cracolândias, doch in keiner Stadt ist das Problem so groß wie in der brasilianischen Metropole São Paulo.

Luz liegt im Herzen der Stadt und war eigentlich wegen seiner prachtvollen Bauten und geschichtsträchtigen Straßen bekannt. Vielen brasilianischen Politikern ist Cracolândia deshalb ein Dorn im Auge. Aber „es gibt keinen Zauberstand der Cracolândia einfach verschwinden lässt“, sagt die städtische Beauftragte für psychische Krankheiten Rosangela Elias. 1)

2012 ging die Stadt bereits gegen die Drogenabhängigen vor. Gelder für Entzugskliniken, in welche die Abhängigen auch ohne Zustimmung eingewiesen wurden und „Straßensäuberungen“ der Polizei waren erste Maßnahmen, um Luz vom Crack zu befreien. 1)

Letztes Jahr startete São Paulo die Aktion „Mit offenen Armen“ (De Braços Abertos). Eine Beschäftigung, Unterkünfte und Verpflegung sollen den (ehemaligen) Abhängigen den Weg zurück in ein normales Leben ebnen. Der Crack-Konsum in Luz ist bereits um 80 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Drogenabhängigen im Viertel liegt derzeit bei nur noch 300 Personen. 1) São Paulos Bürgermeister Fernando Haddad sieht die Aktion als „therapeutischen Prozess und Rückgewinnung der Staatsbürgerschaft“. Bisher nehmen 400 Personen an dem Projekt teil. Dafür müssen sie dem Crack nicht abschwören, ein Umstand, der Kritiker auf den Plan ruft. Ihnen fehlt der Aspekt der Suchttherapie, die den Abhängigen ein Leben ohne Crack ermöglichen soll. 2)

Crack ist eine Droge, die aus Kokainsalz und Natriumhydrogencarbonat hergestellt wird, eine Form rauchbaren Kokains. Sie gilt als die Droge mit dem höchsten psychischen Abhängigkeitspotential. 3)

„Das seelische Verlangen nach der Droge kann durch das Unvermögen gesteigert werden, an irgendetwas anderem Freude zu haben. Dieser Zustand hält manchmal Jahre an“, erklärt der britische Psychopharmakologe David Nutt. Auch die durchschnittlich hohe Rückfallquote bei Drogenabhängigen stimmt nicht gerade optimistisch.

Angesichts dieser Umstände erscheinen die Erfolge von „Mit offenen Armen“ in einem fragwürdigen Licht. Die Aktion ist sicherlich imstande die negativen Konsequenzen der Sucht zu verringern. „Clean“ werden die Abhängigen dadurch nicht. Zudem hat dieser neue Ansatz, der die Abhängigen mehr als Kranke, denn als Kriminelle sieht, nicht den klassische Ansatz der polizeilichen Säuberungen und Festnahmen verdrängt. 2) Dadurch erscheint ein Umzug der Abhängigen in andere Teile der Stadt oder ins Gefängnis wahrscheinlich.

Das Drogenproblem in São Paulo wird die Stadt und auch Brasilien nicht alleine lösen können. Ein Blick auf Brasiliens Nachbarn, Peru und Kolumbien, erklärt wieso: Beide Länder produzieren Unmengen an Kokain, das nicht nur in die USA und zu uns nach Europa gelangt, sondern eben auch nach Brasilien. Hier beginnt das Angebot-und-Nachfrage-Spiel: Was bedingt was? Fakt ist, dass sich Angebot und Nachfrage gegenseitig beeinflussen und man das illegale Drogengeschäft nur mit einem ganzheitlichen Ansatz bekämpfen kann. Fakt ist aber auch, dass die Bekämpfung der Nachfrage an Bedeutung gewonnen hat. „Der Erfolg der Nachfragereduzierung ist entscheidend, wenn es um einen nachhaltigen Erfolg im Kampf gegen Drogen geht“, sagte Pino Arlacchi, Direktor des internationalen Drogenkontroll-Programms der Vereinten Nationen. 4)

Die Rückfallquote spielt der illegalen Drogenwirtschaft in die Hände und behindert das Vorgehen gegen die Nachfrage enorm. Es ist ein Teufelskreis: Wer einmal den Drogen verfallen ist, kommt in den meisten Fällen nicht mehr von ihnen los. Das liegt nicht zuletzt an fehlenden oder ungenügenden Therapiemöglichkeiten und der Intoleranz innerhalb der Gesellschaft, die Drogenabhängige lieber weggesperrt als rehabilitiert weiß.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. The Guardian: Cracolândia: the crack capital of Brazil where addicts are forced to seek help – Stand: 22.01.15
  2. Insightcrime: Is São Paulo’s Drug Treatment Program Working? – Stand: 22.01.15
  3. Wikipedia: Crack – Stand: 22.01.15
  4. UN General Assembly: Reducing Demand for Drugs – nicht mehr verfügbar

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