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| Bild: © n.v.

„Shoot First, Ask Later“ – El Salvador ist das tödlichste Nicht-Kriegs-Land

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„Wir befinden uns im Krieg“, erklärte El Salvadors Polizeichef für innere Angelegenheiten im Februar dieses Jahres. Streng genommen ist diese Aussage nicht korrekt.1 Denn der salvadorianische Bürgerkrieg ist seit 25 Jahren beendet. Linke Guerilla-Gruppen hatten zwölf Jahre lang gegen die von den USA unterstützte Militärregierung gekämpft. Trotzdem hat das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten keinen Frieden gefunden und befindet sich immer noch in einer blutigen Nachkriegszeit.2

 

El Salvador wird zum Land mit der höchsten Mordrate

Angaben der salvadorianischen Behörden zufolge starben seit Jahresbeginn 318 Gangmitglieder in 316 Feuergefechten mit der Polizei. 2015 wurden 58 Polizisten von kriminellen Organisationen getötet. Viele von ihnen sind gezielt verfolgt und außerhalb ihres Dienstes erschossen worden. Der Großteil der Opfer stammt jedoch aus der Zivilbevölkerung. Über 6.600 Menschen verloren letztes Jahr ihr Leben durch gewaltsame Fremdeinwirkung. Damit ist El Salvador das Land mit der höchsten Mordrate der Welt. 2014 lag diese UNODC-Zahlen zufolge „noch“ bei 64,2 Morden pro 100.000 Einwohner.3 Im folgenden Jahr stieg sie auf 104 Morde an.4 Das Land mit 6,3 Millionen Einwohnern – das sind nur etwas mehr als in Hessen – ist mittlerweile das gefährlichste Land der Welt, das sich nicht in einem Krieg befindet. Seit 2015 wird dort jede Stunde durchschnittlich ein Mensch getötet.2

 

Die Regierung ist gnadenlos im Kampf gegen Kartelle

Mara Salvatrucha ist eines der gefährlichsten und größten Kartells auf der ganzen Welt.
(c) markarinafotos (CC BY-NC-ND 2.0)Flickr

Die mächtigsten Kartelle in dem zentralamerikanischen Land sind auch die brutalsten: „La Mara Salvatrucha“ (MS-13) und „Barrio 18“ morden seit langem im Kampf um Territorien. Die verfeindeten Gruppen machen ihr Geschäft mit Drogenschmuggel, Erpressung und Entführung. Täglich töten Gangmitglieder Busfahrer und Geschäftsbesitzer, die den Schutzgeldforderungen nicht nachkommen können. Der Economist schätzt, dass Drogenorganisationen in El Salvador jährlich 754 Millionen Dollar durch das Schutzgeld „la renta“ einnehmen.2 Dass Kartelle und kleinere kriminelle Gruppierungen der Bevölkerung so stark zusetzen, erklärt wohl auch deren Einstellung zur „Mano Dura“-Politik der Regierung. Mit eiserner Hand geht diese gegen das organisierte Verbrechen und jeden vor, der auch nur im Verdacht steht, Verbindungen zum Drogengeschäft zu haben. Die breite Bevölkerung unterstützt den Kurs der Regierung. Einer 2014 veröffentlichten AmericasBarometer-Statistik nach unterstützen über 83 Prozent  der Einwohner das Vorgehen bewaffneter Einsatzkräfte gegen Kriminalität und Gewalt. Das ist der höchste Zuspruchswert in ganz Amerika. Einige Bürger schließen sich sogar bewaffneten „Death Squads“ an, die mit dem Vorsatz „erst schießen, dann fragen“ auf eigene Faust das Verbrechen bekämpfen. Solche nicht-staatlichen Kommandos sind zwar illegal, werden aber nicht strafrechtlich verfolgt. Ihre Gewaltverbrechen werden nicht aufgeklärt.5

 

Eine gemäßigtere Anti-Drogenpolitik könnte dem Land helfen

Die Polizei El Salvadors geht unerbittlich gegen Drogen und Schmuggler vor.
(c) Rachael L. Leslie (Public Domain)Wikimedia Commons

Gesellschaftlicher Ausschluss und Armut bedingen die hohe Kriminalität in ganz Lateinamerika. Aus Perspektivlosigkeit schließen sich Jugendliche kriminellen Organisationen an und geraten in einen Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt. Aussteigen aus dem Drogengeschäft ist kaum möglich. Denn von Seiten der Kartelle drohen den „Deserteuren“ Verfolgung und Tod, während die Regierungen kaum Resozialisierungsprogramme für ehemalige Gangmitglieder anbieten.2 Dabei könnten solche Programme auch zur Entschärfung der Situation in El Salvador beitragen. Resozialisierte Gangmitglieder könnten den Behörden wichtige Informationen zu Motivation und Denkweise der Kartelle liefern und bei Verhandlungen als Vermittler auftreten. Der unerbittliche Kampf gegen Drogenschmuggelnetzwerke trägt nachweislich zur Verschlimmerung der Situation bei. Eine gemäßigtere, ausgewogene Strategie wäre einem internationalen Sicherheitsexperten zufolge um einiges nachhaltiger. Eine Mischung aus Dialogbereitschaft und Abschreckung könne das „shoot first, ask later“-Prinzip ersetzen und für mehr Stabilität und Sicherheit im Land sorgen.1

Ob die salvadorianische Regierung ihren Kurs im Kampf gegen das organisierte Verbrechen korrigieren wird, ist allerdings mehr als fraglich. Präsident Salvador Sánchez Cerén bezog vor einigen Monaten klar Stellung zu Vorwürfen, es werde zu hart mit Kriminellen umgegangen: „Auch wenn einige sagen, dass wir uns im Kriegszustand befinden, gibt es keinen anderen Weg. Es gibt keinen Platz für Gespräche, es gibt keinen Platz für Waffenruhen, es gibt keinen Platz um mit ihnen (den kriminellen Gruppen) klarzukommen. Sie sind Kriminelle und als solche müssen wir sie auch behandeln“.1

  1. InSight Crime: How to Solve El Salvador’s Security Crisis? A Modest Proposal; 27. Juli 2016 [] [] []
  2. Council on Hemispheric Affairs: War in Peace: Exploring the Roots of El Salvador’s Gang Violence; 18. Juli 2016 [] [] [] []
  3. Wikipedia: List of countries by intentional homicide rate; Stand 21. Juli 2016 []
  4. USA Today: El Salvador: World’s new murder capital; 08. Januar 2016 []
  5. InSight Crime: Death Squads in El Salvador Kill, Face No Investigation: Report; 10. November 2015 []

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