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Als im November 2016 die kolumbianische Regierung und die FARC einen Friedensvertrag unterzeichneten, der den seit mehreren Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen den beiden Parteien beendete, schien auch eine Lösung für das Kokainproblem des südamerikanischen Landes gefunden zu sein. Das Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito, kurz PNIS, sollte Bauern aus ihrer Abhängigkeit vom Kokaanbau befreien und ihnen ermöglichen, auf legale Kulturen umzusteigen. Doch nur etwa eineinhalb Jahre später ist das Programm gefährdeter denn je. | Bild: © n.v.

Kolumbien: Machtkämpfe krimineller Gruppen gefährden Kokasubstitution

Als im November 2016 die kolumbianische Regierung und die FARC einen Friedensvertrag unterzeichneten, der den seit mehreren Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen den beiden Parteien beendete, schien auch eine Lösung für das Kokainproblem des südamerikanischen Landes gefunden zu sein. Das Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito, kurz PNIS, sollte Bauern aus ihrer Abhängigkeit vom Kokaanbau befreien und ihnen ermöglichen, auf legale Kulturen umzusteigen. Doch nur etwa eineinhalb Jahre später ist das Programm gefährdeter denn je. | Bild: © n.v.

Als im November 2016 die kolumbianische Regierung und die FARC einen Friedensvertrag unterzeichneten, der den seit mehreren Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen den beiden Parteien beendete, schien auch eine Lösung für das Kokainproblem des südamerikanischen Landes gefunden zu sein. Das Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos de Uso Ilícito, kurz PNIS, sollte Bauern aus ihrer Abhängigkeit vom Kokaanbau befreien und ihnen ermöglichen, auf legale Kulturen umzusteigen. Doch nur etwa eineinhalb Jahre später ist das Programm gefährdeter denn je. Der Friedensvertrag hat nicht überall dazu geführt, dass tatsächlich Frieden Einzug gehalten hat. In vielen ehemaligen FARC-Gebieten toben blutige Machtkämpfe zwischen verschiedenen kriminellen Gruppen, die dort die früher von der Guerilla kontrollierte Kokainproduktion übernehmen wollen. Der Staat hat es nicht geschafft, das Vakuum zu füllen, das beim Abzug der Guerilleros aus den von ihnen okkupierten Territorien entstand. Die stetig zunehmende Gewalt macht vielerorts die Umsetzung des PNIS unmöglich und sorgt für Spannungen zwischen der Regierung, der Polizei und dem Militär auf der einen und Kokabauern auf der anderen Seite.12

Aus einem vor kurzem veröffentlichten Report der Stiftung Ideen für den Frieden (Fundación Ideas para la Paz – FIP) geht hervor, dass die Mordrate in Kommunen, wo im Rahmen des PNIS Abkommen mit der Regierung zur Substitution von Koka geschlossen wurden, innerhalb eines Jahres um rund 33 Prozent gestiegen ist – von 41,1 Morden pro 100.000 Einwohner im Jahr 2016 auf 54,7 Morde pro 100.000 Einwohner im vergangenen Jahr. In Kommunen, wo Koka angebaut wird, aber kein Abkommen mit der Regierung geschlossen wurde, nahm im gleichen Zeitraum die Anzahl der Morde ebenfalls deutlich zu. Allein in Kommunen ohne Kokaanbau sank die Mordrate im letzten Jahr im Vergleich zu 2016.1

Dabei sollte das PNIS alles zum Besseren wenden. Der Kern des Programms dreht sich um die freiwillige Abkehr vom Koka und den Umstieg auf andere Kulturen. Kokabauern sollen mit der Regierung Abkommen schließen und anschließend ihre Kokasträucher ausreißen. Im Gegenzug erhalten sie Saatgut für legale Pflanzen und ein Jahr lang finanzielle Hilfe in Höhe von etwa 350 Dollar im Monat. Da sich der Großteil des Kokaanbaus auf schwer zugängliche und jahrzehntelang vom Staat vernachlässigte Regionen konzentriert, ist ebenfalls Geld für Infrastruktur- und lokale Gemeindeprojekte vorgesehen.23

Doch die Realität sieht oft anders aus. Bis jetzt profitieren lediglich ein Viertel der Kokabauern, die sich für ein solches Abkommen beworben haben, von der staatlichen Unterstützung. Das große Problem am PNIS ist der quälend langsame Ablauf des ganzen Prozesses. Im ersten Schritt müssen alle Kokabauern zunächst auf Gemeindeebene Sammelverträge unterschreiben und die Größe ihrer Kokafelder dokumentieren. Anschließend muss von UNODC-Mitarbeitern verifiziert werden, ob die Angaben der Bauern auch der Realität entsprechen, was in entlegenen Gebieten mit mangelndem Straßenausbau noch länger als ohnehin schon dauern kann. Erst wenn hier grünes Licht gegeben wird, können die einzelnen Bauern selbst Verträge mit der Regierung abschließen.

Doch die Substitution der Kokafelder ist den kriminellen Gruppen, die um die Vorherrschaft in der Kokainproduktion kämpfen, ein Dorn im Auge. Vielerorts nehmen sie die Bauern, die am PNIS teilnehmen wollen, ins Visier und zwingen sie dazu, weiterhin Koka anzubauen. Fatal ist, dass die kolumbianische Regierung es versäumt hat, in solchen Gebieten Präsenz zu zeigen und die kriminellen Gruppen zurückzudrängen, um die Bauern, mit denen sie Abkommen schließen will, effektiv zu schützen.2

Besonders deutlich wird das am Beispiel von Tumaco, wo sich der zweitwichtigste Pazifikhafen Kolumbiens befindet. Die abgelegene Kommune ist nur durch eine Straße mit dem Rest des Landes verbunden. Hier befinden sich 23.000 Hektar an Kokafeldern, mehr als in jeder anderen kolumbianischen Kommune. Tumaco war früher FARC-Territorium, doch nach dem Abzug der Guerilla brachen Kämpfe zwischen mehreren kriminellen Gruppen, unter anderem den Urabeños – die mächtigste der sogenannten BACRIM (Bandas criminales), die aus den paramilitärischen Gruppen hervorgegangen sind – und der ELN – die letzte verbliebene größere kolumbianischen Guerilla – aus. Die Mordrate stieg in der Folge stark an.24

Kokabauern in Llorente, das zu Tumaco gehört, hatten zwar im Rahmen des PNIS Abkommen mit der Regierung geschlossen. Aber weil sie von den kriminellen Gruppen  bedroht wurden, konnten sie nicht mit dem Ausreißen der Kokasträucher beginnen. Das wiederum missfiel der Regierung, die unter dem Druck der USA steht, so schnell wie möglich so viele Kokafelder wie möglich zu vernichten. Als schließlich Soldaten und Anti-Drogen-Einheiten in Llorente anrückten, um die Kokasträucher ohne Berücksichtigung des Abkommens auszureißen, entlud sich die Spannung. Als 1000 Bauern und Einwohner gegen das Vorgehen der Einsatzkräfte protestierten, schossen Polizisten einer Anti-Drogen-Einheit wahllos in die Menge. Es gab mehrere Tote und etwa 50 Verletzte.5

Der Vorfall in Llorente zeigt die Schwächen des PNIS in aller Deutlichkeit auf. Der langsame Umsetzungsprozess des Programms und der Umstand, dass es dem Staat nach wie vor in vielen Gebieten nicht gelingt, Präsenz zu zeigen, kriminelle Gruppen zurückzudrängen und Kokabauern zu beschützen, erschweren eine alternative Entwicklung, wie im Friedensvertrag vorgesehen, erheblich. Und auch wenn die kolumbianische Regierung letztes Jahr trotz aller Widrigkeiten ihr Ziel erreicht hat, 50.000 Hektar an Kokafeldern zu beseitigen, könnte der Erfolg nicht von Dauer sein. Denn auf etwa einem Drittel der vernichteten Anbauflächen wird laut dem UNODC wieder Koka nachgepflanzt.2

  1. InSight Crime: Criminal Violence Colombia Drug Crop Substitution: Report; Artikel vom 22.02.18 [] []
  2. The Economist: Colombia’s two anti-coca strategies are at war with each other; Artikel vom 20.02.18 [] [] [] [] []
  3. Tagesspiegel: Ein Land kämpft mit der Droge; Artikel vom 28.05.17 []
  4. InSight Crime: Colombia Port Town in Bloody Battle Over Former FARC Turf; Artikel vom 24.01.17 []
  5. Colombia Reports: Southwest Colombia furious at security forces after ’15 killed‘ in massacre; Artikel vom 06.10.17 []

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